Warum die meisten Menschen nicht rational spenden – und das auch gut so ist

Spielen rationale Gründe bei der Entscheidung über eine Spende eine Rolle oder nicht? Diese Frage treibt viele Fundraiser*innen um und ist zentral für den Aufbau von Spendenaufrufen. Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, stehen andere Aspekte im Vordergrund.

Aus Sicht vieler Fundraiser*innen und Akteure innerhalb der jeweiligen Organisation gibt es viele gute und rationale Gründe, sich für die jeweilige Organisation zu entscheiden. Diese müssten doch auch die Förder*innen teilen? Das scheint logisch, aber die Wissenschaft gibt hierauf eine andere Antwort.

Zwei Systeme der Entscheidungsfindung

Eine Reihe von sozialpsychologischen Studien und Experimenten zeigen, dass dies nicht so ist. Wie Kahnemann immer wieder überzeugend gezeigt hat, nutzen Menschen zwei verschiedene Systeme zur Entscheidungsfindung: Da ist das intuitive limbische System 1, das Geschichten und Emotionen nutzt, sehr schnell und unbewusst ist sowie kaum Energie verbraucht. Daneben nutzen wird das rationale System 2 im Neocortex, das auf Logik setzt, eher langsam sowie energieintensiv ist und uns bewusst ist. In der Regel entscheiden wir mit System 1 und kontrollieren diese Entscheidungen manchmal mit dem System 2. Forscher*innen schätzen, dass etwa 85% aller Entscheidungen in System 1 getroffen werden.

Die meisten Spender*innen entscheiden intuitiv

Dies hat für das Fundraising eine Reihe von Folgen: Spender*innen reagieren eher auf Emotionen und sie benötigen Geschichten, damit sie sich schnell orientieren können. Vermischt man hingegen Geschichten mit rationalen Informationen, gehen in Experimenten die Spendeneinnahmen zurück. In dieser Situation muss zwischen System 1 und System 2 gewechselt werden, was einige Menschen veranlasst, aus der Kommunikation auszusteigen und sich nicht weiter mit den Informationen zu beschäftigen.

Dies bedeutet nicht, dass alle Menschen nur emotional reagieren. Natürlich gibt es auch welche, die ihre Entscheidungen von Sachinformationen und Wirkungsnachweisen abhängig machen. Häufig sind dies Menschen, die mit einer Investorenlogik an ihr Spenden herangehen. Allerdings ist diese Gruppe – wenn auch überdurchschnittlich vermögend und mit eher hohen Spenden engagiert – relativ klein. Es gibt Schätzungen, dass etwa 5% aller Förder*innen in diese Gruppe fallen.

Sollten Förder*innen rational entscheiden?

Während die Frage, wie die meisten Menschen sich für Spenden entscheiden, relativ gut erforscht und eindeutig beantwortet ist, stellt sich die zweite Frage, ob dies auch gut ist. Immerhin kann man auch zeigen, dass Spenden bei emotionalen Entscheidungen im System 1 nicht immer dort ankommen, wo sie am meisten benötigt werden. Sie werden gegeben, wo die stärksten Emotionen geweckt werden können, wo es Fernsehbilder gibt und Neuigkeiten wie Katastrophen unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die vielen unspektakulären Themen, die wichtig, aber nicht viel Aufmerksamkeit abbekommen, bekommen dann auch deutlich weniger Spenden ab und es ist für diese Themen viel schwieriger, Fundraising zu betreiben.

Wäre es also nicht besser, Menschen würden rational spenden? Dann würden die Spenden zumindest dort ankommen, wo sie die größten Wirkungen entfalten können, sodass die Welt mit den vorhandenen Ressourcen deutlich besser werden würde.

Spenden sind symbolische Handlungen

Dies Argument ist nicht von der Hand zu weisen, geht aber am Sinn des Spendens vorbei. Wären Spender*innen rationale Investoren, wäre diese Logik zwingend. Die Funktion von Spenden ist jedoch weniger die Investition als vielmehr ein symbolisches Handeln. Und als symbolisches Handeln steht die Spende für etwas anderes. Mit Spenden zeigen wir unsere Verbundenheit und etablieren soziale Beziehungen. Wir symbolisieren damit ein gesellschaftliches „Oben“ und „Unten“. Wir versorgen Bedürftige und sichern damit Überleben. Und wir spenden auch aus eigennützigen Motiven, um Zugänge zu Netzwerken zu erhalten, Reputation zu gewinnen oder auch ökonomisch nützliche Beziehungen aufzubauen und zu erhalten. Alle diese Logiken spielen auf einer sozialen Ebene und sind hier unverzichtbar, denn sie sind konstitutionell für unser Zusammenleben und das Funktionieren unserer bürgerlichen Gesellschaften.

Spenden gehören zum Sozialkapital

Hierin zeig sich jetzt eines der zentralen Missverständnisse: Investoren verstehen Spenden als ökonomische Transaktionen. Es geht um ökonomisches Kapital, dass möglichst effizient und effektiv eingesetzt werden sollte. Wenn wir uns die Logiken hinter dem Spenden anschauen, dann wird deutlich, dass es sich hierbei jedoch um Sozialkapital handelt; jenes Kapital, das sich aus den Beziehungen und Netzwerken ergibt, in denen wir engagiert sind und das in diesen Netzwerken eingebunden ist. Sozialkapital wird gegeben, um soziale Beziehungen zu festigen und auch um soziale Unterschiede zu manifestieren, dann Geben und Nehmen ist immer eine asymmetrische Beziehung, die sich nur dann ausgleicht, wenn Geben und Nehmen sich abwechseln.

Würden Menschen also zweckrational bzw. ökonomisch reagieren und nach den Regeln der Effektivität und Effizienz entscheiden, würde Sozialkapital in ökonomisches Kapital transformiert werden. Damit würde man das Spenden von seinem symbolischen Charakter entkleiden, es könnte seine sozialen Funktionen, die es heute hat, nicht mehr wahrnehmen.

Welche Aufgabe hat die Zivilgesellschaft?

Neben diesem funktionalen Argument gibt es noch ein zweites, das auf die Funktionslogik von Zivilgesellschaft verweist: Die Aufgabe von Zivilgesellschaft ist nicht nur die Produktion von Dienstleistungen zur Reparatur der durch unsere Wirtschaftsweise verursachten Probleme. Zentraler noch ist die Aufgabe der Entwicklung und Diskussion von zentralen Werten und Normen. Denn die Identifikation eines sozialen Missstands ist nur auf Basis von Werten, die in der Regel verletzt werden, möglich. Deshalb haben alle Organisationen der Zivilgesellschaft eine Mission, die sie zu erfüllen haben.

Nonprofits konkurrieren um Ressourcen und Werte

Damit stehen Organisationen nicht nur um Ressourcen und die jeweils besten Lösungen in Konkurrenz zueinander, sondern vor allem auch um Werte und deren Geltung. Und in dieser Logik setzen sich diejenigen Werte am Ende durch, denen es gelingt, möglichst viele Unterstützer*innen bzw. Ressourcen zu mobilisieren. Fundraising trägt damit zur Legitimation von politischen Positionen sowie zur Gestaltung von Gesellschaft bei. Auch in dieser Sichtweise geht es nicht um die Effizienz und Effektivität der Spenden, sondern um die Unterstützung derjenigen Werte, die Spendende verwirklicht sehen möchten und deren Verletzung sie nicht ertragen wollen.

Fazit

Spenden und die Entscheidung darüber sind ein komplexer sozialer und psychischer Vorgang, der sprachlich kaum zugänglich ist. Eine Reduzierung auf den zweckrationalen Aspekt der Transaktion wird dieser Komplexität nicht gerecht. Würde man also Spenden auf ökonomische Entscheidungen reduzieren, würden diese anderen für das Funktionieren der Gesellschaft wichtigen und teilweise unverzichtbaren Aspekte verloren gehen. Deshalb ist es gut, dass Menschen emotional entscheiden und für die Dinge spenden, die ihnen am Herzen liegen. Wie wir sie emotional dazu bewegen auch für diejenigen Projekte und Programme zu spenden, die nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, ist dann die Herausforderung für Fundraiserinnen und Fundraiser. Wie dies möglich ist, haben wir unter dem Schlagwort „Mission-based Fundraising“ zusammengefasst.

 

Eine nachhaltig finanzierte Zivilgesellschaft, die die Welt ein Stück besser macht und ohne Ausbeutung und Selbstausbeutung auskommt, ist die Mission von Dr. Kai Fischer. Deshalb beschäftigt er sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Aufbau langfristiger Beziehungen zu Förder/innen und bietet hierfür Strategie-Beratungen, Inhouse-Workshops und Seminare an.

 

Dr. Kai Fischer

Sprechen Sie mich gerne an, ich freue mich von Ihnen zu hören!

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