Teure Schmetterlinge

In der Marketing-Szene werden die Einmal-Kunden, die nicht wiederkehren, butterflies genannt, weil sie wie Schmetterlinge von Blume zu Blume fliegen und nicht mehr wiederkommen. Auch im Fundraising gibt es dieses Phänomen. Und es ist riesig groß: häufig ist jeder zweite Spender in der Hausliste ein Einmal-Nie-wieder-Spender.

Es ist weder ein Einzelfall noch ein nationales Problem, es ist in vielen anderen Ländern ähnlich wie bei uns. Die Hälfte unserer Hausliste besteht aus Spendern, die uns nur einmal geben – und danach nie wieder. In den USA spenden nur 43% ein zweites Mal. Machen wir etwas Grundsätzliches falsch?

Die Antwort lautet: Ja und Nein, Differenzierung tut Not. Werfen wir einen Blick auf die Einmal-Nie-Wieder-Spenden. Für uns sehen sie homogen aus, aber sie sind völlig verschieden. Ich habe sechs unterschiedliche Typen identifiziert – und nur einen davon können wir erfolgreich beeinflussen für eine zweite Spende.

Die fünf nicht oder kaum beeinflussbaren Spender-Typen:

1. Anlassspender: Es ist ein gelerntes Praxis-Wissen, dass die allerwenigsten Menschen, die auf Bitten anderer, z.B. zu Todesfällen oder Geburtstagen, also auf Basis einer sozialen Norm für eine Organisation spenden, diese Spende eigenständig wiederholen. Denn es entsteht keine Beziehung zwischen Geber und Organisation. Hier gilt: People give to (bzw. besser for) people. Darüber hinaus spenden zwei Drittel der Deutschen ohnehin fast nie – und das andere Drittel hat meistens bereits viele andere Spendenengagements.


2. Katastrophenspender: die Katastrophenwerke haben lernen müssen, wie schwierig es ist, ihre Spender von einem dauerhaften Engagement zu überzeugen. Viele spenden in Katastrophenfällen aus einem (auch religiös motivierten) Impuls heraus, Solidarität mit Opfern zu zeigen, Stichwort „Nächstenliebe“. Sie wollen sich aber gar nicht weiter engagieren. Sie haben auch kein weitergehendes Interesse. Sie haben Ihren Impuls der Nächstenliebe und Solidarität bedient, mit einer Spende – und keinen weiteren Bedarf. Sie werden aber bei der nächsten Katastrophe wieder spenden, dann womöglich aber für die erstbeste Organisation, die Ihnen im richtigen Moment über den Weg läuft. Es ist vermutlich sinnvoll, sich einzugestehen, was mir manche Menschen im Gespräch offenbarten: sie spenden für die Opfer – und häufig eben nicht über oder gar für eine bestimmte Organisation. Sie ist austauschbar.

Organisationen, die Anlass- und Katastrophenspender länger versuchen zu binden, erweisen sich und der Branche übrigens einen Bärendienst. Denn wenn die Adressaten ungewollt jahrelang Post erhalten, wird Ihnen klar, dass ein Großteil ihrer Spende durch sinnlose Werbung vergeudet wurde – wodurch das Lager der Niemals-Spender weiter Zuwachs erhält. Man bedenke: Im Tsunami-Jahr 2005 haben nach GFK-Erhebungen fast 50% der Bevölkerung gespendet, 2018 lag der Anteil bei nur noch 30%, Tendenz weiter fallend.

3. Schwund-Spender: Eine kleine Gruppe von vielleicht 5% der Einmal-Nie-Wieder-Spender, bei denen auch die beste Fundraising-Abteilung nicht viel ändern kann, sei der Vollständigkeit erwähnt: Viele Spender sind älter und spenden selten. Und bevor sie gemäß ihres eigenen Spendenrhythmus wieder spenden würden, erkranken manche oder verarmen in der Pflege oder versterben. Sie haben also schlicht keine Gelegenheit mehr zu einer Zweitspende. Dieser Schwund wird immer bleiben.

4. Bereuende-Spender: Werbung will Einfluss nehmen auf Verhalten. Und unsere Neuspenderwerbung nimmt auf allen Kanälen erfolgreich Einfluss auf potenzielle Spender, zum Glück. Selbst ohne kriminelle oder ethisch fragwürdige Techniken schaffen wir es dabei, Menschen in einem konkreten Moment von einer Spende zu überzeugen, obwohl sie nicht unbedingt spenden wollen. Sie tun es trotzdem, weil es in dem Moment für sie die beste Option ist. Sei es, um dem netten jungen Mann auf der Straße einen Gefallen zu tun, oder das gefühlige Video im Internet, das einen emotional überwältigt, oder das Schuldgefühl bzw. die Norm der Reziprozität, dass man durch ein erhaltenes Give-Away in einem Spendenmailing, wie z.B. einen Rosenkranz, bekommt und daher spendet. Vielen Menschen erscheint eine Spende in diesem Kontext die beste Handlungsalternative zu sein – auch wenn sie gar nicht spenden wollen. Ohne diesen Kontext des sozialen Drucks überkommt diesen Spendertyp häufig eine (meines Erachtens kaum reversible) Reue, gespendet zu haben. Sie werden aktiv und kündigen ihre neu abgeschlossene Mitgliedschaft – oder unterlassen aus Prinzip jede Folge-Spende auf weitere Mailings. Und auch hier gilt: Manche spenden danach nie mehr für irgendeine Organisation.

Zahlen und Untersuchungen kenne ich hierzu nicht. Ökonomisch ist die Einmal-Spende zwar deutlich besser als eine NICHT-Spende. Sie hübscht zudem unsere Kennzahlen bei der Neuspendergewinnung deutlich auf. Denn die Neuspender-Gewinnungskosten lägen ja doppelt so hoch, wenn man den 50%-Anteil der Einmal-Nie-Wieder-Spender aus den Neuspendern rausrechnen würde. Vielleicht ist es etwas, was man bei jeder Vertriebsarbeit in Kauf nehmen muss, auch im Fundraising.

Vielleicht aber auch nicht. Denn der Flurschaden der bereuenden Spender ist gewaltig, das Image des Fundraisings und von gemeinnützigen Organisationen leidet darunter. Vielleicht sollten wir alle also ein bisschen weniger zum Spenden überreden, drängen oder nudgen, wie es jetzt auf Denglisch heißt, - und behutsamer sein und mehr auf Überzeugen als Überreden bauen.

Dann würden die Kosten der Neuspendergewinnung zwar steigen, aber ebenso steigen würde die Anzahl der Zweitspenden und damit dann auch die Zahl der haltbaren, nachhaltigen Spender, die einen echten, also positiven Life Time Value erzielen. Vielleicht steigt so dann auch wieder der Anteil der Spender in der Bevölkerung an.

Es ist die klassische Tragik der Allemende: für jede NGO scheint es wirtschaftlich, in den Grenzbereich des Überredens zu gehen, aber das Gemeingut, hier das öffentliche Vertrauen in NGOs und Fundraising, leidet darunter, und damit alle spendensammelnden Organisationen.

5. Positiver-Kontext-Spender: Während bei den bereuenden Spendern der soziale Kontext negativer, sozialer Druck ist, gibt es auch positive Kontext-Spender. Sie spenden in einem eng definierten Kontext. Ich spende z.B. per Überweisung einmal und nie wieder für bestimmte Kirchen, die ich besucht habe. Oder für Vereine, die mir kostenlose Führungen anbieten, z.B. durch Hamburgs Unterwelt. Oder nach einem Urlaub für ein bestimmtes Projekt, das man gesehen oder für wichtig erachtet hat. Oder gemeinsam mit anderen, online und dynamisch verabredet, für eine bestimmte Sache, also das klassische peer to peer fundraising. Danach fühlt man sich gut, aber das Interesse an weitergehenden, dauerhaften Informationen tendiert häufig gegen Null.

Müsste man alles ewig weiterschleppen, was man mal unterstützt hat, wäre das Spenderleben voller Ballast. Bei diesem Spendertyp sorgen daher klassische Bindungsversuche (Mailings mit Spendenaufforderungen) eher für Reaktanz. Denn auch hier gibt es keine Beziehung zur Organisation, sondern nur einen Kontext, aus dem heraus gespendet wurde. Plumpe Bindungsversuche wirken dann nur wie ein fader Nachgeschmack einer schönen Aktion. Denn der Kontext ist perdue, und damit auch der Wille zum Engagement.

Empfänger solcher Spenden müssen erkennen: Die Situation definiert die Relevanz für Spender, nicht der Spendenzweck als solcher. NGOs müssen erkennen, welche ihrer Spender nur kontextbezogen gespendet haben und welche tiefergehend engagiert sind und Werte und Mission teilen. Wir können keine Spender binden, die sich nicht binden lassen wollen. Es wäre Vergewaltigung. Es fehlt der Kontext. Wir müssen sie ziehen lassen.

 

Es bleiben aber genug Erst-Spender übrig, die nicht in die oberen fünf Kategorien reinpassen – und bei denen NGOs eine Chance haben, ihre Bindungsarbeit zu verbessern, um aus Erstspendern haltbare Mehrfachspender zu machen:

6.Enttäuschte Erst-Spender: Jahrelang habe manche NGOs es sich zu einfach gemacht und die Neuspender einfach unsynchronisiert in ihre Mailing-Maschine reingewürgt. Viele Neuspender erfahren so z.B. nie, was aus Ihrer ersten Spende wurde. Sie erhalten nur weitere Spendenbitten. Das ist zu wenig, um Menschen dauerhaft zu überzeugen, also Erstspender in Mehrfachspender zu transformieren. Und hier ist für mich auch das Bild der Schmetterlinge falsch. Neuspender sind für mich eher Raupen, denen wir helfen müssen, sich zu transformieren in Schmetterlinge, die unsere Arbeit befruchten.

Und dafür fehlt es nicht an einfachen, günstigen und praktikablen Wegen, sie werden nur zu selten systematisch begangen mit Neuspendern:

  1. projektspezifischer und persönlicher Dank
  2. Wirkungsnachweise und Erfolgsmeldungen
  3. Appelle an die Leidenschaft und die gemeinsame Mission.
  4. Einladungen zu Events
  5. Neuspenderbefragungen zu Wünschen und Erwartungen

Wem das zu teuer und aufwändig erscheint, sollte sich klarmachen, wie dramatisch positiv sich eine verbesserte Bindung auswirken kann. Stellen wir uns eine Organisation mit 50.000 aktiven Förderern vor, die jedes Jahr 5% ihrer Förderer verliert und 5% hinzugewinnt. Sie hätte, wenn sie statt 50% starke 75% ihrer Erstspender zu Mehrfachspendern macht, nach 10 Jahren nicht weiter 50.000, sondern 56.250 Spender.  

Als Fazit bleibt: Bei steigenden Neuspender-Gewinnungskosten im Markt wird die Fähigkeit zur Bindung (mehr Zweitspender, weniger Einmal-Nie-Wieder-Spender) entscheidend für den Erfolg einer NGO. Umso wichtiger wird es sein, diese Mühe auf denjenigen Erst-Spender-Typ zu fokussieren, der auch zu binden ist, statt das Bindungs-Budget mit der Gießkanne zu verteilen – auf den unfruchtbaren Boden der nicht-bindbaren Neuspendertypen. Und es wird immer wichtiger zu erfragen, wie die bindbaren Spender ihre eigene donor journey finden oder sich wünschen würden. Dafür helfen schriftliche Spenderbefragungen und qualitative Interviews.

 

Prof. Tom Neukirchen ist Gesellschafter der Fundgiver Social Marketing GmbH und berät spendensammelnde Stiftungen und Vereine. Er war davor u.a. Geschäftsführer der Hamburger Stiftung steps for children und Interimsmanager mehrerer NGOs. Neukirchen ist gelernter Journalist, studierter Politologe und seit 20 Jahren im Fundraising hauptberuflich aktiv. Er hat zwei renommierte Fach-Agenturen aufgebaut und verkauft. Seit 2005 ist Neukirchen als Lehrender an Universitäten und Akademien tätig. Er ist gefragter Referent diverser Fachkongresse in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Weitere Informationen: fundgiver.de

Dr. Kai Fischer

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