Spenden nur Spender*innen, die schon einmal gespendet haben?

Dies ist eine der spannendsten Fragen, wenn es um die Konzeption von Fundraising geht, und von der Antwort hängt einiges ab: Wenn nur diejenigen spenden, die schon einmal gespendet haben, dann ist der Rückgang der Zahl der Spender*innen zwar bedauerlich, aber man kann dagegen kaum etwas machen und sollte sich auf die tatsächlich Spendenden konzentrieren. Geht man hingegen davon aus, dass auch andere Menschen spenden würden, könnte man die Gruppe der Spender*innen prinzipiell ausweiten.

Zunächst einmal gibt es eine Reihe von Indikatoren, die darauf hindeuten, dass nur Angehörige bestimmter Gruppen in größerer Zahl spenden. So wissen wir, dass Menschen mit religiöser Orientierung, Menschen, die ehrenamtlich arbeiten, und solche, die politisch interessiert und engagiert sind, überproportional häufig spenden. Es gibt eine Reihe von Thesen, mit denen diese Phänomene erklärt werden können.

Auch in den Auswertungen spielgelt sich dies wider: Am besten reagieren die Menschen auf eine Spendenbitte, die schon einmal gespendet haben. Sie sind diejenigen, die in der Regel eher und schneller reagieren als alle anderen Zielgruppen. Deswegen performen Listen mit Spender*innen im Propect-Mail immer besser als alle anderen Listen.

Spenden als psychische oder soziale Disposition?

Folgt man diesen Indikatoren, erscheint „Spenden“ als psychische oder soziale Disposition, die relativ stabil über den Lebenszyklus bestehen bleibt: Jemand gehört entweder zur Gruppe der Spendenden, oder eben nicht. Strategisch hat es dann keinen Sinn, Menschen erreichen zu wollen, die nicht bereits spenden, denn es erscheint ausgesprochen schwierig, sie zu erreichen.

Sind wir auf dem Holzweg?

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Indikatoren auf tatsächliche Phänomene verweisen, oder ob es sich um Artefakte handelt, die wir durch die Form unserer Kommunikation erst verursachen. Wenn die meisten Organisationen die gleichen Medien zur Kommunikation nutzen, eine ähnliche Ansprache pflegen und alle das Opfernarrativ nutzen, dann wird dadurch nur eine bestimmte Gruppe von Menschen angesprochen. Das sind diejenigen, die reagieren. Allerdings sagt dies nichts darüber aus, ob bei einer anderen Ansprache, bei Nutzung anderer Kommunikationskanäle oder bei Verwendung anderer Narrative nicht auch andere Gruppen anzusprechen wären. Mit anderen Worten: Aus der Reaktion der einen Gruppe kann nicht geschlossen werden, dass bei einer anderen Kommunikation nicht auch andere Gruppen angesprochen werden könnten.

Ähnlich verhält es sich mit der Beobachtung, dass in Deutschland nur Angehörige bestimmter Gruppen signifikant häufiger spenden. Auch dies kann durch die Form und die Inhalte der Ansprache verursacht sein: Durch die gewählte Ansprache werden diese Gruppen besonders gut erreicht, während andere nicht reagieren. Aber auch hier gilt: Die Reaktion der einen Gruppe sagt nichts darüber aus, ob bei einer anderen Ansprache auch andere Gruppen reagieren würden.

Unsere Erfolgsmessung verstärkt dieses Problem noch: Wenn wir auswerten, welche Kommunikation am erfolgreichsten war, dann optimieren wir die Kommunikation für eine Zielgruppe. Das bedeutet auf der anderen Seite: Unbewusst werden andere Gruppen aus der Kommunikation ausgeschlossen, da sie mit dieser für eine bestimmte Zielgruppe optimierten Kommunikation nichts anfangen können. In der Folge wird die Zielgruppe immer kleiner, kann aber immer besser ausgeschöpft werden.

Kennen wir das Potenzial des Fundraisings?

Auch dies sagt jedoch nichts darüber aus, ob bei einer anderen Kommunikation auch andere Zielgruppen spenden würden. Vielmehr können wir einen wechselseitigen Verstärkungseffekt beobachten: Das Fundraising wird auf die derzeit Spendenden optimiert, was dazu führt, dass auch nur sie spenden. Dieser beobachtete Effekt wird dann durch Agenturen und über Fortbildungen verallgemeinert, sodass auch insgesamt der Eindruck entsteht, dass nur eine Zielgruppe spendet. Alternative Zielgruppen fallen aus dem Blick und ihre Ansprache ist auch weniger effizient, da für sie eine erfolgreiche Kommunikation erst noch entwickelt und erprobt werden muss.

Offen bleibt die Frage nach der Disposition zum Spenden. Um von einer Disposition zum Spenden sprechen zu können, ist die Datenbasis zu dünn. Vor allen Dingen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Effekte Artefakte sind, die erst im Fundraising selbst verursacht wurden.

Auf der anderen Seite bestehen vermutlich Dispositionen, die auch im Fundraising wirksam sind. Implizite Motive und Werthaltungen bestimmen vermutlich das Spendenverhalten ebenso wie Selbstbilder und Identität. Und natürlich trägt die neo-liberale Ideologie, wonach Menschen sich als Ich-AG auf ihren eigenen Vorteil konzentrieren sollten, dazu bei, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt verloren geht und damit auch Verantwortung und Solidarität erodieren, die auch Grundlage des Spendens sind. Allerdings gibt es auf der anderen Seite auch auf das Individuum bezogene Vorteile des Gebens, die wir bisher kaum im Blick haben.

Wie können wir Nicht-Spenden erklären?

Damit bleibt am Ende das Fazit zu ziehen: Auch wenn sicherlich nie alle Menschen spenden werden, ist Spenden mit so vielen sozialen und psychischen Prozessen verknüpft, dass es im Grunde keinen rationalen Grund gibt, warum Menschen nicht spenden sollten. Dies bedeutet dann auch, dass Nicht-Spender erklärungsbedürftig sind und dass mehr Menschen erreicht werden könnten, wenn wir das Fundraising weiter ausdifferenzieren, andere Narrative und Gebe-Logiken nutzen – oder Kanäle und Touchpoints einbeziehen, an denen wir die Menschen treffen, die bereit sind, ein Stück des Wegs mit uns gemeinsam zu gehen. Es ist an der Zeit, Fundraising neu zu denken.

 

Eine nachhaltig finanzierte Zivilgesellschaft, die die Welt ein Stück besser macht und ohne Ausbeutung und Selbstausbeutung auskommt, ist die Mission von Dr. Kai Fischer. Deshalb beschäftigt er sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Aufbau langfristiger Beziehungen zu Förder/innen und bietet hierfür Strategie-Beratungen, Inhouse-Workshops und Seminare an.

 

Dr. Kai Fischer

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